: Kahns Kampfsportkarriere
Eine von drei großen Szenen: Bayerns Torhüter ringt den Gegner Sören Larsen nieder, sein Team schlägt den Tabellenführer mit 2:0. Während die Schalker um die Meisterschaft zittern, stapeln die Münchner tief und wollen davon nichts mehr wissen
AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER
Es gibt Fußballspiele – und gar nicht mal so wenige –, die sind mit dem Schlusspfiff abgehakt, selbst aus der temporären Erinnerung einfach und schmerzfrei gelöscht. Nur ein paar wenige Szenen bleiben übrig. Bayern gegen Schalke war so ein Spiel. Ein Drei-Szenen-Spiel. Dafür war aber eine schöner als die andere.
Da war zuerst Mark van Bommel, der Leader im Bayern-Team. Fordert in Minute drei den Ball von Schweinsteiger. Bekommt ihn. Gibt ihn gleich wieder her. Legt ihn perfekt in den Lauf des plötzlich sehr freien Roy Makaay, der ungerührt Saisontreffer 13 markiert – sein 75. Bundesligator im 122. Spiel. Prima Quote, prima Tor.
Eine Stunde später: Szene 2. Nach einem Eckball rumpelt Kahn im Fünfer mit Sören Larsen zusammen, rafft sich bösen Blickes wieder auf, packt den 1,93-Meter-Mann am Hals und stößt ihn mit einer an den Kampfsport gemahnenden Armbewegung wieder ins Parterre. Warum auch immer. Bekommt vom Schiedsrichter nur Gelb statt Rot. Warum auch immer. Egal, tolle Szene, fügt sich perfekt in Kahns so reichhaltiges wie abwechslungsreiches Ausraster-Portfolio.
Die beiden sind auch Protagonisten in Szene 3, unterstützt von „Miss FC Bayern April 2007“, einem etwas zu stark geschminkten Mädel mit lustig weiß-grau gefärbtem Haupthaar unterm Siegerkrönchen. In der Mixed Zone trafen sie nach der Partie zusammen – allerdings eher unfreiwillig. Larsen erzählt einer Traube von Reportern von seiner unheimlichen Begegnung mit Oliver Kahn, als dieser aus der Kabine kommt und grimmblickig an den Journalisten vorbei schnurstracks Richtung Auto strebt – dabei aber dummerweise direkt an Larsen vorbeimuss. Der sieht den Titanen auf sich zukommen und nimmt flugs die Fäuste zur Deckung hoch wie am Abend zuvor Stefan Raab gegen Regina Halmich. Kahn zieht vorbei, wird aber von Miss April ausgebremst, die Autogramme sammelt. Für einen Moment steht das lustige Trio eng beisammen und sieht Kahn beim Kritzeln zu. Großes Kino.
Viel mehr als diese Szenen werden nicht bleiben von Bayerns 27. Sieg im 37. Heimspiel gegen Schalke 04. Lahm hat sein 100. Bundesligaspiel absolviert, Sagnol das 175., Pizarro das 100. Bundesligator verpasst. Und sonst? Ein erschreckend blutarmer Tabellenführer hat in nun sechs Spielen nur einen Sieg feiern können und offenbar wenig Ideen, wie er diese Misere beenden könnte. Zu keinem Zeitpunkt des Spiels sah es aus, als hätte Schalke neun Punkte Vorsprung auf Bayern – eher umgekehrt. Ähnlich wie gegen Bremen dominierten die Münchner von Beginn an und versäumten es bloß, Treffer nachzulegen. Gelegenheiten boten sich vor allem Makaay, der dreimal am glänzend parierenden Manuel Neuer scheiterte.
Sein Gegenüber Kahn verlebte bis auf den Vollkontakt mit Larsen einen ereignisfreien Nachmittag. Selbst nach Salihamidzic’ Treffer zum 2:0 nach wunderbarem Pass von Lucio vermochten sich die Schalker in der verbleibenden Viertelstunde nicht zu einer entschlossenen Schlussoffensive aufzuraffen. Merkwürdig. Die Bayern-Fans sangen abwechselnd „Nie deutscher Meister, ihr werdet nie deutscher Meister“ und „Vier-Minuten-Deutscher-Meister S04“. Und Bayern-Manager Uli Hoeneß höhnte: „Mit dem 2:0 ist Schalke sehr, sehr gut bedient. Es hätten auch vier oder fünf sein können.“ Schalke-Coach Mirko Slomka sagt kleinlaut: „Wir schauen nicht auf die Tabelle“, tut es dann doch („Es ist allein Glück, dass wir noch auf Platz eins stehen.“) und muss bei Fragen zur Meisterschaft erst einmal tief Luft holen, um dann die üblichen Floskeln abzulassen.
Kollege Ottmar Hitzfeld ist spätestens bei der Pressekonferenz nach dem Spiel schon bei der nächsten Partie: „Dieser Sieg hat uns nicht nur drei Punkte verschafft, sondern vor allem auch Ruhe im Blick auf Mailand.“ Der Glaube an die eigenen Titelchancen hält sich beim Tabellen-Vierten in Grenzen. Hoeneß sagt: „Die Chancen für uns sind sehr klein“, und auch Franz Beckenbauer mauert: „Wenn wir die restlichen Spiele gewinnen sollten, haben wir vielleicht noch eine Chance. Allein, mir fehlt der Glaube.“
Wichtiger als der deutsche Titel ist sowieso die Champions League. Noch nie konnte der FC Bayern München den AC Mailand ausschalten. Ein Sieg, zwei Unentschieden, fünf Niederlagen – das ist eine bittere Statistik. Doch die Bayern strotzen gerade vor Selbstbewusstsein, während AC Mailand in der Liga zwischen Palermo und Empoli auf Platz fünf dümpelt. Schade nur, dass mit den gesperrten Kahn und Mark van Bommel die Protagonisten fehlen. Wer soll denn jetzt für die guten Szenen sorgen? Den beiden ist es egal: Van Bommel hat Kahn für Dienstagabend zu sich nach Hause eingeladen. „Ich weiß aber nicht, ob er kommt“, sagt der Holländer. Tja, bei Oliver Kahn weiß man halt nie so genau.